Donnerstag, 2. Februar 2012

3 Sekunden Ruhm

Gestern fand die Vorpremiere von Toxic Lullaby im Kassler Cineplex statt, und weil wir, die Apokalyptischen Schreiber, dort mitspielen, fuhren wir hin und sahen uns den Film an.


Eine schöne, bunte Welt wird durch Drogen noch bunter – doch Drogen sind nicht gut. Sie sind allenfalls gut für einen abgedrehten Horrorfilm, denn ganz plötzlich ist alles anders. Die Welt, in der Eloise aufwacht ist trist und grau und verwirrend. Um sie herum sind Menschen mit Gasmasken, die eine Menge Panik verbreiten und vor irgendetwas davonrennen. Sie begreift nicht, was um sie herum vorgeht, aber sie lässt sich mitziehen – in eine Ruine, in der die Gruppe die Nacht verbringt. Die Nacht, die ist gefährlich, denn dann werden die Schläfer aktiv und die sind gierig nach unverseuchtem Menschenfleisch.
Sie werden von Feuer angezogen und von Lärm. Das weiß Eloise aber nicht, und da sie friert, zündet sie ein Feuer an. Die andern wissen das wohl, und trotzdem verlangen sie lautstark, dass Eloise das Feuer wieder löscht ... klar, dass die Schläfer jetzt angreifen!
Und das sind wir. Stefan Fels, Volker Ilse, Ralph Haselberger (der sogar eine Sprechrolle hat) und ich. Ich bin in mehreren kurzen Schnitten zu sehen, insgesamt ca. 3 Sekunden. Ja, 3 Sekunden Ruhm für mich. Allerdings ist die Angriffszene extrem schnell geschnitten, sodass man das Gesehene intellektuell erstmal gar nicht erfassen kann. Eine reine Actionszene halt. Es passiert – und dann ist es schon wieder vorbei. Die Überlebenden sind auf der Flucht. Der Zuschauer sitz immer noch mit offenem Mund staunend da und versucht zu begreifen, was da eben abging. Klasse gemacht. Mehr wäre da echt weniger gewesen. Nicht das Ego des Schauspielers (Bin ich jetzt ein Filmstar?) ist wichtig, sondern der Film.


Andererseits ist es für mich als Filmfan auch sehr cool zu wissen was da alles dahintersteht. Wie diese spannenden Sekunden Film zustande kamen.
Aus Spaß hatten wir an einem Casting der Kassler Independentfirma Spontitotalfilm teilgenommen, und wir wurden tatsächlich eingeladen, in dem Film Toxic Lullaby mitzuspielen. Aufgeregt fuhren wir zu einer ehemaligen Munitionsfabrik, einer Ruine irgendwo im Nirgendwo. Da die Filmsequenzen in einer postapokalyptischen Welt spielen wurde im Winter gedreht, damit keine grünen Bäume oder gar Gras zu sehen war. Der Nachteil: Es war kalt. Saukalt, um genau zu sein. Und eigentlich sogar noch ein kleines (ein großes) bisschen kälter. Ehrlich.
Wir kamen an, machten uns schüchtern mit der Crew vertraut, sahen zu, wie die ersten Schauspieler geschminkt wurden. Wir aßen ein paar leckere Frikadellen. Wurden irgendwann selbst geschminkt. Wir froren. Und weil ich es ja immer übertreiben muss, modifizierte ich meine Outfit. Ich zerriss meinen Pullover und mein Hemd, ich wälzte mich im Dreck, verpasste mir noch ein paar Schürfwunden und Blutflecken, und von mal zu mal sah ich grauenerregender aus.
Wir machten Fotos. Und wir warteten, und warteten und warteten. Dabei froren wir. Ich bereute ein wenig, dass ich meinen Pullover und mein Hemd so arg zerrissen hatte. Aber hey, für die Kunst muss man leiden.
Wir warteten noch immer, weil der Special-Effekt mit dem Schirm nicht ganz so funktionierte, wie er sollte. Dann ging es los. Hazy durfte als erster ran. Da er sehr groß ist, hatten sie sich für ihn eine tolle Szene ausgedacht: Er hebt die Hand und schreit: „Sie kommen“. Dann ist da ein sehr kleiner Schläfer (Andrea), und weil er (sie) in Bisshöhe mit Hazys Arm ist, beißt sie halt zu. Blut spritzt reichlich. Ich habe zwar den Dreh nicht gesehen, aber die blutbesudelten Darsteller hinterher.


Dann durfte ich endlich hinein in die Ruine. Da wo gedreht wurde. Wo die Action abging. Noch sah ich staunend zu, wie die Schauspieler vor der Kamera agierten, dann bekam auch ich meine Regieanweisungen. Ich stand im hinteren Teil der Ruine auf einem Schutthügel. Die Gruppe der Helden hatte sich soeben aufgesplittet. Zwei kannten den Schuttberg hinauf, auf mich zu, dann aber änderten sie die Richtung und rannten von mir weg.
Ich sollte aus der Dunkelheit hervortreten, die Helden in der Ruine anstarren, und dann den Flüchtenden hinterherrennen.
Ein sehr kurzer Auftritt, aber nun gut, auch James Dean hat unbedeutende Nebenrollen gespielt, bevor man ihn an Denn sie wissen nicht, was sie tun ranließ.
Ich beschloss, mein Bestes zu geben, und ich gab mein Bestes.
Es wurden ein paar Takes abgedreht, dann hieß es, ich könne ja den Schuttberg herunterrennen und die Helden in der Ruine angreifen. Die kämpften gerade mit einem anderen, weiblichen Schläfer, den sie wegstoßen sollten. Ich sollte sie dann auffangen, zu Seite werfen und mich auf die Helden stürzen.
Geilomat, dachte ich, so gefällt mir meine Rolle schon besser. Ich gab wieder mein Bestes, und Noah Hunter versicherte mir, dass es ein sehr eindruckvolles Bild sei, wie ich diesen Schuttberg hinunter stürme.
Dummerweise rutschte bei einem späteren Take dieser weibliche Schläfer aus und fiel auf die vom Regenschirm durchbohrte Leiche. Sie spießte sich glücklicherweise nicht auf, aber sie fiel auf ihre Insulinpumpe und wurde vorsorglich ins Krankenhaus gefahren (es geht ihr wieder gut!).
Jetzt sollte ich den Berg hinunterstürmen und die Helden direkt angreifen. Volker und Stefan kamen jetzt hinzu und gemeinsam drängten wir die Helden gegen die Wand, wo sich ein Fenster befand, durch das die Helden flüchten konnten. Sehr zum Bedauern von uns Schläfern.


Es war sehr spät, als wir den Heimweg antraten. Wir waren müden, wir waren durchgefroren, aber wir waren auch sehr glücklich. Wir hatten in einem Film mitgespielt. Wir veröffentlichten ein paar Fotos im Horror-Forum, ein paar in diesem Blogg, bei wer-kennt-wen, ich schrieb auch einen Erlebnisbericht. Hexen Herrmann schmückte der Seite des Zauberspiegel Ralf Kempers Bericht mit Fotos von uns. Wir fühlten uns wie Filmstars.
Erste Trailer tauchten auf der Homepage von Toxic Lullaby auf. Wir waren zwar nicht zu sehen, aber immerhin namentlich genannt. Dann kamen immer mehr Namen. Unsere Verschwanden. Wir befürchteten, rausgeschnitten worden zu sein.
Der Film sollte auf einem Festival gezeigt werden, war dann aber doch noch nicht fertig. Eine DVD-Veröffentlichung war im Gespräch, aber es fehlte der Vertrieb. Die Jahre zogen ins Land ... nein, so schlimm war es nicht. Dann kam eine Einladung zur Vorpremiere. Unser Film sollte tatsächlich im Kino laufen! Wow. Und im Internet tauchten unsere Namen wieder auf, wir waren bei der Crew. Wir kamen ins Kino. Wir wurden vom Regisseur mit Handschlag begrüßt und mit Namen angesprochen. Wir hatten unser Bestes gegeben, und unter all den Schläferdarstellern ragten wir heraus.
Dann saßen wir in diesem riesigen Kino, das sich immer mehr füllte. Wow, so viele Mitwirkende, und er kannte uns mit Namen. Obwohl wir nur einen Drehtag hatten. Wir warten bedeutend für diesen Film.
Dann ging es los. Ein blondes Mädel, das von Alkohol und Drogen berauscht vor einer Kamera tanzt, Männer, die zu zugedröhnt sind, um das wirklich auszunutzen. Da sind andere Männer, die Gifte auf die Felder sprühen. Künstlerischer Scheiß also. Doch dann verschwinden endlich die Farben und wir bekommen das erwartete Horrorsetting. Da, die Ruine, die kenne ich. Ich sehe den Schnee, ich spüren die Kälte vom Drehtag auf der Haut. Jetzt sind sie drin, die Helden. Da ist der Schuttberg. Ich weiß, da hinten in der Dunkelheit, da lauere ich. Gleich werde ich diesen Berg hinunterstürmen und mich auf diese ahnungslosen Helden stürzen.
Ich höre das „Sie kommen“ von Ralph, sehe, wie Andrea an seinem Arm herumkaut. Das alles passiert superschnell, zu schnell, um es zu genießen. Andrea ist sehr hübsch, wenn sie auf Fleisch herumkaut. Ich habe sie übrigens zum Schläfer geschminkt.





Von der sehr gelungenen Maske sieht man leider nicht viel. So schnell passiert das alles. Dann greife ich an. Ein Schnitt auf mich, ein Schnitt auf die panischen Helden, wieder ich, wieder was anderes, vorbei. Volker habe ich ebenfalls erkannt, Stefan nicht. So schnell ging das alles. Selbst wenn ich eine Stoppuhr gehabt hätte, hätte ich das vermutlich nicht mitstoppen können. Ich schätze mal, dass ich alles in allem 3 Sekunden zu sehen war. 3 Sekunden Ruhm. Dafür habe ich alles gegeben, dafür habe ich meinen Pullover und mein Hemd zerrissen, hatte meine eindrucksvolle Erscheinung noch eindrucksvoller gemacht, hatte gefroren. Und hey, es hat sich gelohnt. Manchmal ist weniger mehr.
Trotzdem freue ich mich schon sehr auf die DVD, und ich werde mir diese Sequenz in Zeitlupe ansehen,um all die Feinheiten meines schauspielerischen Könnens und die Perfektion meiner Maske ausgiebig zu würdigen.
Klar, die Schläfer in der U-Bahn-Station waren alle länger zu sehen, aber da wusste der Zuschauer ja schon, was ihn erwartet. Wir waren die ersten, bei uns war der Schockeffekt höher. Bei uns hat der Zuschauer mit offenem Mund da gesessen, hat sich vor Spannung an die Armlehnen gekrallt, hat vor Angst aufgeschrien.
Das vermute ich. Natürlich habe ich da nicht auf die Zuschauer, sondern auf den Film geschaut. Ich wollte ja uns sehen, nicht die.
Vielleicht sollte ich mir den Film noch einmal im Kino anschauen. Am 30. April ist die offizielle Premiere, danach ist der Film vom 1. Mai bis zum 5. Mai täglich im Kino zu sehen. Aber wahrscheinlich würde ich dann wieder auf mich schauen, statt auf die. Ich kenne mich doch.


Nun könnte man meinen, dass der Rest vom Film für mich nicht mehr so interessant gewesen sei, dem war aber nicht so. Ralf Kemper verstand es, sehr interessante (bisweilen auch verstörende) Bilder auf die Leinwand zu zaubern. Die Schauspieler waren gut, sogar die in den Nebenrollen. Der Spannungsbogen nervenzerreibend. Die Musikuntermalung war erstklassig.
Klar, Toxic Lullaby kann es nicht mit einem Hollywoodstreifen aufnehmen, aber er ist erheblich besser als so mancher Horrorfilm, der in der Videothek auf ahnungslose Filmfans lauert.


Anschließend gab es Sekt und Häppchen und jede Menge Dank vom Regisseur Ralf Kemper. Man durfte sich ein Filmplakat mitnehmen, und ich ließ mir das meine von etlichen Mitschauspielern signieren (leider war Prashant Prabhakar nicht da, und Horst von Allwörden auch nicht), und ich signierte auch welche.




Aber die Häppchen machten hungrig und so beschlossen wir Spontitotalfilm, den Abend bei Burger King ausklingen zu lassen. Ohne den Nahostkonflikt auszubauen: Das Ergebnis war erheblich befriedigender als unser McDonalds-Besuch auf unserer Tour nach Leipzig. Könnte aber auch an der Uhrzeit gelegen haben, denn gegen 23 Uhr gibt’s immerhin keinen Frühstückszwang.


Später kam Hazys Frau Hind mitsamt Tochter Asia vorbei. Die Kleine (Asia) aß einen Hamburger, der fast so groß war, wie sie selbst. Wir spielten noch ein Weilchen mit ihrem Kindermenü-Gimmick, einer Puppe, der man Kleider an- und ausziehen konnte. Asia meinte, dass das manchmal ganz schön schwer sei, Puppen an- und auszuziehen, und da musste ich ihr beipflichten. Das Ausziehen ist besonders schwierig, wenn die Puppe nicht so recht will.
Aber das ist eine komplett andere Geschichte!


Ich werde mir jetzt kein T-Shirt drucken lassen, auf dem „Ich bin ein Filmstar“ geschrieben steht, aber ein Eintrag in der ofdb ist auf jeden Fall fällig. Thomas Backus, Schläfer in Ruine 1. Schließlich habe ich mein Bestes gegeben. Und ich werde es auch weiterhin tun. Spontialfilm hat bereits das nächste Projekt in Angriff genommen. Im Moment baut die Crew um Ralf Kemper ein Raumschiff, und dann kommt er, der Trashkiller im Nebel des Orion. Das Casting läuft bereits, und hey, immerhin habe ich jetzt schon eine Menge Filmerfahrung!

Nachtrag:

Mittlerweile ist der Film auf DVD erschienen - und kann hier bestellt werden:




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